Die ersten freien Schritte eines Babys gelten als einer der bekanntesten Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung. Dieser langersehnte Moment in dem das eigene Kind zum ersten Mal mit kleinen tapsigen Schritten durch die Wohnung marschiert, ist ein unglaubliches Ereignis, welches die Eltern und vor allem das Kind unheimlich stolz macht. Das Selbstbewusstsein steigt und die Eltern wissen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Meist denkt man kurz an die vergangen Monate zurück und überlegt, wie schnell doch das letzte Jahr vorüber ging. Doch wie lernen Babys laufen? Und was genau können Eltern tun, um den Prozess zum Laufen lernen zu begleiten? Eva E. Kaiser aus Fellbach bei Stuttgart ist Kinderphysiotherapeutin, Bobath- und Psychomotoriktherapeutin, Autorin, zweifache Mutter und heute im Experteninterview mit Paul & Lori. Sie hat sogar ein tolles Buch mit vielen fachlichen Informationen über die Bewegungsentwicklung in den ersten 1,5 Lebensjahren geschrieben.
Hallo Eva! Paul & Lori freuen sich sehr, dass wir heute mit dir über die Themen Baby- und Kleinkindmotorik, Mobilität, Krabbeln und Laufen lernen sprechen. Außerdem werden wir mit dir ein paar Mythen rund um die Babymotorik aufdecken, die so im Internet rumkreisen und du hast auch fünf tolle Tipps an Eltern für das erste Lebensjahr mitgebracht! Aber zuerst wollen wir dich etwas näher kennenlernen. Wie genau bist du dazu gekommen, dich mit der Motorik von Babys und Kleinkindern zu beschäftigen und was genau fasziniert dich an deiner Arbeit?
Hallo Paul & Lori! Schon während meiner Ausbildung zur Physiotherapeutin hat mir der Einsatz in der Kinderklinik besonders viel Spaß gemacht. Mein Pädiatrielehrer hat mich dann damals darin bestärkt, mir nach bestandenem Examen eine Stelle in der Kinderklinik zu suchen. Ich habe dort lange behandelt und zwar von Frühgeborenen bis zu den Jugendlichen das gesamte Spektrum. Sehr verschiedene, meist kleine Patienten und Ihre Eltern zu betreuen, macht mir auch heute immer noch große Freude und ist eine sehr vielseitige sowie anspruchsvolle Aufgabe. Durch meine zwei Kinder habe ich nochmal einen ganz neuen Blickwinkel bekommen. Meine Therapie ist alltagsnäher geworden und mir ist wichtig, dass sie für die Eltern und das Kind, möglichst gut durchführbar ist. In meinem Ratgeber “Wie ist das mit den Krabbeln? - Alles Wichtige zur Bewegungsentwicklung” gebe ich fachliche Informationen über die Bewegungsentwicklung in den ersten 1,5 Lebensjahren und wie Eltern die Entwicklung begleiten können. Ich möchte eine optimale Unterstützung bei der Bewegungsentwicklung bieten und das durchweg positive Feedback von vielen Eltern, Kolleg:innen und Kinderärzten / Kinderärztinnen freut mich!
Dann legen wir mal los! Sobald Babys das Krabbeln lernen, werden Sie plötzlich viel mobiler. Sie können sich nun eigenständig und immer schneller durch die Wohnung fortbewegen. Doch wie genau lernt ein Baby Krabbeln und welche Vorstufen zum Krabbeln gibt es?
Der Weg zum Krabbeln ist durch den Auf- und Abbau frühkindlicher „Reflexe“ gekennzeichnet. Zunächst muss der STNR (Symmetrisch tonischer Nackenreflex) entstehen. Dieser bringt das Kind in den Vierfüßlerstand. Dann muss sich der Reflex wieder abbauen (integrieren), damit das Kind krabbeln kann. Dazu dient das Rocking, ein rhythmisches Vor- und Zurückbewegen auf Händen und Knien, das Babys vorübergehend zeigen und das nur wenig oder sehr ausgeprägt sichtbar sein kann.
Wie können Eltern das Krabbeln fördern? Gibt es spezielle Übungen oder Spielzeug, um das Krabbeln zu fördern?
Da es gerade beim Krabbelnlernen auf das Zusammenspiel von frühkindlichen Reflexreaktionen ankommt, kann man das Baby nicht einfach mit ein paar Griffen zum Krabbeln bringen. Es lernt es ganz von selbst, wenn es soweit ist. Dazu muss das Kind eine gewisse Gehirnreife mitbringen, die die richtige Reflexaktivität automatisch hervorbringt. Es heißt also geduldig abzuwarten, bis das Kind von selbst zum Krabbeln kommt. Diesen Weg kann man begleiten, indem man dem Baby viel Bewegungszeit auf dem Boden, beispielsweise auf einer Krabbelmatte, gibt und manchmal hilft auch das Vormachen durch die Eltern oder größere Kinder. Babys lernen nämlich besonders viel durch Abschauen.
Auf das Krabbeln folgt schließlich das Laufen lernen. Wann lernen Babys zu laufen?
Auch hier gilt: Das Kind geht diesen genetisch vorprogrammierten Weg automatisch und ganz von selbst, wenn es soweit ist. Dazu braucht das Kind niemanden, der ihm/ihr das beibringt. Das Laufenüben durch Führen an den Händen ist sogar eher kontraproduktiv. Es verzögert nämlich zunächst, dass das Kind sein eigenes Gleichgewicht finden kann und dass es lernt, sich auf sich selbst zu verlassen. Der Zeitpunkt der ersten freien Schritte kann ganz unterschiedlich sein. Schon mit ca. 9 Monaten oder erst mit eineinhalb - das ist alles im Rahmen des Normalen und sagt nichts über eine spätere sportliche Leistungsfähigkeit aus.
Gibt's es etwas aus physiotherapeutischer Sicht, worauf Eltern beim Laufen lernen von ihrem Baby achten können?
Es ist gut, wenn Babys und Kleinkinder so viel wie möglich barfuß sind. Die Fußmuskulatur, die ab den ersten Stehversuchen erst so richtig gebraucht wird, kann sich so am besten ausbilden. Schuhe werden erst nötig, wenn das Kind schon größere Strecken laufen kann und auch dann nur für draußen. Dort sollen sie vor allem vor Hitze oder spitzen Steinen etc. schützen. Kinderschuhe sollten leicht und flexibel sein, mit einer sehr beweglichen Sohle, viel Platz für die Zehen bieten und ganz flach, ohne Absatz.
Manchmal lassen sich Eltern durch Tipps von anderen oder aus dem Internet verunsichern, obwohl diese gar nicht stimmen. Also lass uns nachfolgend versuchen ein paar allgemeine Aussagen die man so hört oder im Internet zum Thema Krabbeln und Laufen lernen liest, einzuordnen. Kannst du uns sagen ob folgende Aussagen wahr sind oder es sich nur um einen Mythos handelt?
1. Mythos: Wahr oder falsch?
Es gibt keine Kleinkinder, die nicht krabbeln wollen!
Das ist richtig. Wenn ein Baby vor dem Laufenlernen nicht gekrabbelt ist, dann lernt es das normalerweise danach. Es ist auch unter Kleinkindern noch eine gängige Fortbewegungsart beim Spielen auf dem Boden.
2. Mythos: Wahr oder falsch?
Bevor ein Baby krabbelt, muss es den Kopf heben können!
Das muss es auf jeden Fall können, sonst kommt es gar nicht in den Vierfüßlerstand!
3. Mythos: Wahr oder falsch?
Babys mit Bruder oder Schwester beginnen in der Regel etwas früher zu laufen!
Das stimmt nicht - auch hier ist jedes Kind individuell. Manche lernen es etwas früher, andere später. Man sollte die Geschwister am besten gar nicht so viel vergleichen, denn jedes Kind ist einzigartig!
4. Mythos: Wahr oder falsch?
Eltern müssen das Baby beim Laufen lernen unterstützen!
Nein, am schnellsten geht es, wenn die Eltern nicht in das Geschehen eingreifen, sondern das Kleine ausprobieren lassen. Es lernt durch Versuch und Irrtum und beginnt, sich etwas zuzutrauen. Wenn das Kind dann ganz alleine laufen kann, ist es sehr stolz. Daraus entstehen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.
5. Mythos: Wahr oder falsch?
Eltern können den Bewegungsdrang von Babys behindern, wenn sie die Bewegungsmöglichkeiten zu sehr einschränken!
Ja, das stimmt leider! Durch übermäßigen Einsatz von Babywippe, Hochstuhlaufsatz & Co fehlt die freie Bewegungszeit auf dem Boden und die Bewegungsentwicklung verzögert und verändert sich. Beispielsweise versuchen Kinder dann über Situps ins Sitzen zu kommen, statt über die Seite oder den Vierfüßlerstand, wie sie es auf der Krabbelmatte tun würden. Die WHO empfiehlt eine aktive Bauchliegezeit von mindestens 30 Minuten am Tag und eine Zeit von höchstens einer Stunde in Hochstuhl, Wippe, Autositz, Kinderwagen oder Trage, wenn das Kind wach ist. Die freie Bewegung soll möglichst wenig eingeschränkt werden. Schlafen im Kinderwagen oder in der Trage ist kein Problem.
6. Mythos: Wahr oder falsch?
Wenn Babys bis zum 14. Monat noch nicht frei laufen, sollte man einen Kinderarzt aufsuchen!
Nein, man kann bis ca. 18 Monate abwarten, wenn die Entwicklung ansonsten normal ist.
7. Mythos: Wahr oder falsch?
Babyschuhe helfen beim Laufen lernen!
Das stimmt nicht. Sie stören dabei, denn sie behindern das Ausbalancieren und den Aufbau der Fußmuskulatur.
8. Mythos: Wahr oder falsch?
Lauflernwagen helfen Babys beim sicheren Laufen lernen!
Das stimmt auch nicht. Beim Benutzen eines Lauflernwagens wird das Körpergewicht unnatürlich nach vorne verlagert. So verzögert sich das Finden des eigenen Gleichgewichts beim Laufen. Durch das schnelle nach vorne Wegrollen sind sie außerdem gefährlich. Wenn das Kleinkind schon sicher läuft, kann der Wagen ein Spielzeug zum Transportieren und Schieben sein.
9. Mythos: Wahr oder falsch?
Es ist problematisch, wenn Kinder das Krabbeln überspringen!
Nicht unbedingt, wenn sie es später nachlernen.
Kommen wir nun zu deinen Empfehlungen für die Bewegungsentwicklung von Babys. Welche 5 Tipps kannst du als Kinderphysiotherapeutin Eltern für das erste Lebensjahr mit auf den Weg geben?
Weitere Informationen zu Eva E. Kaiser findest du hier:
Webseite: www.evaekaiser.de
Instagram: @babyoptimal
Buch: “Wie ist das mit den Krabbeln? - Alles Wichtige zur Bewegungsentwicklung” (Verlag: Tredition, Hamburg)
Quellen und Literatur:
Kaiser, Eva E. (2021): Wie ist das mit dem Krabbeln? - Alles Wichtige zur Bewegungsentwicklung
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